Mein Artikel zum Thema „Der User als Mensch“ in der Website Boosting #24 Anfang des Jahres 2014:

Weg von Manipulation hin zur eigenen Entscheidung!

User sind auch nur Menschen! Häufig ist den Onlineverantwortlichen diese Tatsache jedoch nicht so bewusst. Ein klares Verständnis über die verschiedenen Usertypen und die gezielt eingesetzte Ansprache von Bedürfnissen und Ängsten, bilden eine solide Basis für eine performante Website. Durch sinnvolle Fragetechniken, die User zu eigenen Entscheidungen und somit zu Überzeugungen führen und aktivem Zuhören im Web, wird eine ganzheitliche Conversion Optimierung langfristig erfolgreich. Weg von Manipulation hin zur eigenen Entscheidung, das bedeutet Nachhaltigkeit im E-Commerce.

Viele Online Marketing Verantwortliche sehen immer noch eine Trafficsteigerung per sogenannter Performance Kanäle als größten Hebel zur Umsatzsteigerung. Jedoch bringt viel Traffic nicht immer den erwünschten Erfolg. Finden die Besucher auf der Website nicht das, was sie erwartet haben, oder finden sie sich nicht gleich auf der Website zurecht, verlässt der teuer eingekaufte Traffic den Online Auftritt wieder. Beschäftigen sich manche dann doch länger mit der Website, so kann es passieren, dass User aufgrund komplizierter Prozesse oder Unsicherheiten doch zu dem einen Klick entfernten Wettbewerber gehen und dort einkaufen. Immer mehr Online Marketer erkennen diese Herausforderung und fangen deshalb an, sich mit dem Thema Conversion Optimierung auseinander zu setzen.

Conversion Optimierung bedeutet die ganzheitliche Optimierung des Webauftrittes, welche zu einer Gewinnsteigerung führen soll. Im Online Marketing wird häufig auch von der Conversion Rate Optimierung gesprochen. Betrachtet man diesen Begriff näher, so stellt man fest, dass sich zwar die Conversion Rate erhöhen, der Gewinn jedoch gleichzeitig sinken kann. Beispielsweise ist dies der Fall, wenn der Webauftritt manipulativ wirkt und sich aufgrund dessen Storno- und Rücksendequoten erhöhen und dadurch auch die Kosten des Shops steigen. Auch Zahlungsausfälle können als Folge von manipulativer Conversion Optimierung den Gewinn mindern. Das zieht aber auch noch weitere Konsequenzen nach sich: Die Kunden sind unzufrieden, dadurch werden weniger Bestandskunden gebunden, somit erhöhen sich die Kosten für die Kundengewinnung, die Weiterempfehlungsrate sinkt, usw.

Aufgrund der beschriebenen Herausforderung, Performanceseiten nicht manipulativ, sondern zielführend in Richtung Gewinnsteigerung zu gestalten, soll der nachfolgende Artikel Denkanstöße geben, den User als bewusst handelnden Menschen zu begreifen.

Den User in „seiner Welt“ abholen

Wenn der User auf die Website kommt, sollte er in „seiner Welt“ abgeholt und mit seinen bevorzugten Emotionen und Informationen bedient werden. Dadurch fühlt er sich auf der Website richtig und gut aufgehoben. Eine positive User Experience sowie eine zufriedenstellende Anzahl an Conversions ist die Folge.

Zuerst ist es wichtig, die User als unterschiedliche Menschentypen zu verstehen und sich darüber im Klaren zu sein, dass diese unterschiedlich angesprochen und behandelt werden sollten. Es gibt bereits zahlreiche Modelle, die Menschen verschiedenen Typengruppen zuordnen. Diese werden aktuell aber hauptsächlich zu Teambuildingzwecken genutzt und im Online Bereich noch wenig eingesetzt. Die Unterteilung in verschiedene Menschentypen hilft aber auch im Bereich Conversion Optimierung.

Im Grunde lassen sich zwei Usertypen unterscheiden: Der zuversichtliche und der misstrauisch-analytische. Diese beiden User-/Menschentypen haben jeweils noch eine unterschiedliche Ausprägung, wenn sie auf die Website kommen: Sie sind entschlossen oder unentschlossen, d.h. sie wissen bereits, was sie wollen oder möchten sich „nur mal umsehen“.

Usertypen und deren Ausprägungen im Überblick

Usertypen und deren Ausprägungen im Überblick

Grundsätzlich ist es bei vielen Produkten hilfreich, möglichst beide Usertypen zufriedenzustellen und in ihrer Welt abzuholen. Gelingt es, diese Herausforderung erfolgreich zu meistern, hat man beinahe 100% der User erreicht. Jedoch ist dies, je nach Produkt und Werbekanal, nicht immer möglich und sinnvoll.

Für ein komplexes Technikprodukt beispielsweise eignet es sich eher, den misstrauisch-analytischen, entschlossenen Typen anzusprechen und dabei Vergleiche, Detailinformationen und Rabatte als Anreiz zu nutzen. Verkauft man in seinem Shop Schmuck, ist die Seite eher nach dem zuversichtlichen, unentschlossenen Typen auszurichten. Dabei ist darauf zu achten, dass möglichst einzigartige Produktbeschreibungen und nur sehr gute Bilder eingebunden werden. Ein Versuch, alle Usertypen zufriedenzustellen, würde bei diesen Produktkategorien vermutlich scheitern bzw. die Anzahl der Conversions verringern.

Bei einigen Produkt- bzw. Themenbereichen ist bereits im Voraus sehr gut einzuschätzen, welche Usertypen angesprochen werden sollten. Regelmäßige Landingpage- und Conversiontests auf der Website helfen dabei, diese Einschätzung zu beweisen. Bei Produktgruppen, bei denen die sinnvollen Usertypen noch unklar sind, unterstützen Tests dabei, die relevante Zielgruppe zu finden.

Weg von Manipulation, Widersprüchen und Stornos! Bedürfnisse wecken und Ängste sinnvoll nutzen.

Gemäß § 312d BGB Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen besteht eine zweiwöchige Frist, in der Verbraucher ihre im Internet gekauften Dienstleistungen oder Waren zurückgeben können.

Wie bereits erwähnt stellt dieses Widerrufs- bzw. Rückgaberecht alle Onlinehändler vor die Herausforderung, die richtige Zielgruppe wirklich zu überzeugen und sie nicht nur zum Kauf des Produktes zu „überreden“. Dieses „Überreden“ bzw. „Manipulation“ ist dann der Fall, wenn z.B. unerfüllbare Versprechungen gemacht werden. Produktdarstellungen, die unrealistische Erwartungen beim Kunden wecken und übertrieben eingesetzte Stimulanz- und Verknappungselemente, wie Rabatte etc., sind daher nicht sinnvoll.

Wirklich überzeugen lassen sich User, indem man deren Bedürfnisse weckt bzw. Ängste richtig nutzt. Nicht Pünktlichkeit oder Ordentlichkeit sind primäre Bedürfnisse, nach denen jeder Mensch strebt; vielmehr sind es Begriffe wie Freiheit, Individualität oder Zugehörigkeit. Welche Bedürfnisse und Ängste lassen sich aber nun im Internet besonders gut nutzen? Nachfolgend einige Beispiele.

Gruppenzugehörigkeitsbedürfnis:
In dem sogenannten Tajfels Experiment hatte Henri Tajfel bereits in den 80er Jahren festgestellt, dass Menschen die angeborene Neigung besitzen, sich mit Gruppen zu identifizieren. Sie entwickeln eine emotionale Verbundenheit zu den ihnen zugeordneten, bedeutungslosen Gruppen.

Roger Dooley erklärt in seinem Buch Brainfluence, dass man dieses Gruppenzughörigkeitsbedürfnis als Marke zielgerichtet und erfolgreich nutzen kann. Schafft man es, aus Kunden eine Gruppe zu generieren, wird deren Loyalität gegenüber der Marke enorm gestärkt und es bildet sich sogar eine Abneigung gegenüber anderen Brands. Apple spricht dieses Gruppenzugehörigkeitsbedürfnis schon seit Jahrzenten erfolgreich an und kommuniziert nach dem Prinzip „Wir gegen die anderen“. Dabei konzentriert sich Apple auf die Menschen, welche die Produkte verwenden, nicht auf die Produkte selbst.

Sicherheitsbedürfnis:
Jeder Mensch möchte seine Zukunft individuell bestmöglich und sicher gestalten. Jedoch ist ebenfalls jedem Menschen klar, dass jederzeit etwas Unvorhergesehenes geschehen kann. Aber es ist nicht jedem Menschen andauernd bewusst!

In der Conversion Optimierung kann man dieses Bedürfnis nutzen, indem Risiken aufgezeigt werden, gleichzeitig aber eine Art Lösungsmöglichkeit bzw. eine Absicherung angeboten wird. Beispielsweise kann das Ausmaß von Kfz-Schäden und eine Unfallstatistik dargestellt und gleichzeitig die Absicherung dieser Risiken mit einer passenden Kfz-Versicherung angeboten werden.

Sexualität:
Sexualität ist ein Grundbedürfnis. Jeder weiß: „Sex sells“. Doch gerade hier ist besondere Vorsicht geboten! Spricht man das Bedürfnis Sexualität, insbesondere bei Männern, zu stark an, reagieren diese eher mit Konzentration auf kurzfristige Erfüllung als auf langfristige Logik. Unbeabsichtigt führt dieses kurzfristige Handeln dann oft dazu, dass vermehrt Widerspruchs- und Rückgaberechte in Anspruch genommen werden. Daher ist es sehr wichtig, sexuelle Bedürfnisse beim User punktgenau anzusprechen, dabei aber nicht zu übertreiben.

Verlustangst:
Verlustängste können in der Conversion Optimierung einen besonders hohen Wirkungsgrad haben. Der Gedanke etwas zu verlieren hat bewiesener Maßen eine stärker motivierende Wirkung als der Gedanke, etwas Gleichwertiges zu gewinnen. Etwa mit dem Hinweis: „Nur noch X Produkte verfügbar“ kann im Rahmen der Conversion Optimierung beim User eine solche Verlustangst, und somit Kauflust, erzeugt werden.

Die meisten der o.g. Bedürfnisse und Ängste können auf der Website selbst und auch beim Verkauf der Produkte gezielt angesprochen werden (über Texte, Bilder, Videos, usw.) und so zum Erfolg eines E-Commerce Unternehmens beitragen. Es ist bei der Anwendung solcher Maßnahmen aber wichtig, dass diese nicht übertrieben und manipulativ eingesetzt werden.

Den User über gezielt eingesetzte Fragetechniken zur individuellen Entscheidung führen

Ziel eines Webunternehmers sollte es sein, den User in die Lage zu versetzen, dass er sich eigenverantwortlich für ein Produkt bzw. eine Conversion entscheidet und anschließend damit zufrieden und glücklich ist. Nur so lässt sich langfristig ein höherer Umsatz erwirtschaften bei gleichzeitig verringerten Kosten.

Im Coaching werden gezielte Fragetechniken eingesetzt, damit der Coachee mittels seiner Antworten die richtigen Lösungen findet. Er steht dadurch voll hinter seiner Entscheidung und wird diese mit höchster Wahrscheinlichkeit vor anderen verteidigen. Menschen sind grundsätzlich konsistent in ihrem Handeln, d.h. wenn sie sich selbst für etwas entschieden haben, werden sie diese Entscheidung vor anderen rechtfertigen.

Auch oder ganz besonders im Onlinegeschäft ist die Überzeugung, sich richtig entschieden zu haben, nach der Conversion wichtig. Daher sind auch im Web Fragetechniken möglich, die den User selbständig zu der für ihn richtigen Entscheidung führen.

Das Kochplattenmodell nach Martina Schmidt-Tanger in der direkten Kommunikation
Beim Kochplattenmodell lenken Fragen die Aufmerksamkeit auf ein Thema, welches als Problem, als Ziel oder als Ressource hinterfragt wird.

Ein Beispiel: „Ich kann nie jemanden mit meinem Auto fahren lassen, weil ich Angst habe, dass etwas passiert“. Hier fragt man auf der Problemplatte z.B. „Warum und wovor genau hast du Angst?“, auf der Zielplatte u.U. „Wie könntest du dir sicherer sein?“ und auf der Ressourcenplatte „Welche Absicherungen konkret würden dein Problem lösen?“.

Bei dem Einsatz dieser Fragetechnik ist es wichtig, jeweils auf jeden der drei Bereiche (die sogenannten „Kochplatten“) einzugehen. Gekocht werden kann kalt oder heiß – übersetzt auf die Fragenstellung bedeutet das, die Fragen können mehr oder weniger emotional bzw. sachlich bezogen gestellt werden. Heiß beinhaltet den direkten Bezug zu der Person im hier und jetzt. Kalt meint eher das Zirkuläre, somit eher das, wie es die anderen gesehen haben oder sehen werden, in der Vergangenheit oder Zukunft. Grundsätzlich sollte dabei als Fragesteller darauf geachtet werden, dass man während der Kommunikation von der Problemplatte auf die Ziel und dann auf die Ressourcenplatte (was brauche ich zur Zielerreichung) kommt.

Das Kochplattenmodell nach Martina Schmidt-Tanger

Das Kochplattenmodell nach Martina Schmidt-Tanger

Das Kochplattenmodell im Web
Im Internet Fragetechniken einzusetzen ist kompliziert, da in der Regel keine direkte Kommunikation geführt wird. Dem User sollten zudem nicht zu viele Wahlmöglichkeiten gegeben werden (aufgrund des Paradox of Choice).

Eingesetzt werden kann diese Fragetechnik aber, wenn beispielsweise Überschriften als Fragen formuliert oder ein Ratgeber zu einem erklärungsbedürftigen Produkt in Form von Fragen und Antworten nach dem Kochplattenmodell angeboten wird. Alle relevanten Fragen sollen hinsichtlich Problemstellung und Zielsetzung geklärt werden, um im Rahmen der Ressourcenfragen zu einer potenziellen Lösung zu führen. Im besten Falle werden die zu verkaufenden Produkte oder Dienstleistungen hierfür geordert.

Auch Vorgehensweisen, die den User mittels gezielter Fragen und möglicher Antworten zu einem bestimmten Ergebnis führen, sind Chancen, diese Fragetechnik online anzuwenden. Beispielsweise können hierfür eigenständige Prozesse auf der Website integriert werden. Wichtig: Die Fragen müssen den Nutzer zu einem positiven Ergebnis führen und somit eine positive User Experience erzeugen. Andernfalls kann diese Maßnahme auch gegenteilig wirken.

Aktives Zuhören im Internet

Aktives Zuhören sollte für eine erfolgreiche Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Menschen immer eingesetzt werden. Dem Gesprächspartner wird dabei signalisiert, dass man zuhört und dies auch mit voller Aufmerksamkeit tut.

Auch im Onlinebereich ist „aktives Zuhören“ wichtig! Dem User wird dadurch vermittelt, dass er auf der Website ist, auf der er das findet, was er sucht. Beim aktiven Zuhören gibt es drei Stufen, die sinnvollerweise offline wie online zu berücksichtigen sind:

Die drei Stufen des aktiven Zuhörens, off- sowie online

Die drei Stufen des aktiven Zuhörens, off- sowie online

Durch aktives Zuhören im Web fühlt sich der User angenommen und verstanden. Emotionen entscheiden in der Regel über Kaufen oder Nichtkaufen. Rationale Argumente unterstützen die emotional getroffenen Entscheidungen lediglich. Somit ist aktives Zuhören nicht nur offline, sondern auch online enorm bedeutsam.

Was als Fazit bleibt

User sollten auch im Web bewusst als Menschen verstanden und so behandelt werden. Eine entsprechende Kommunikation und die richtige Ansprache der relevanten Bedürfnisse und Ängste auf der Website bzw. beim Verkauf der Produkte oder Dienstleistungen trägt nicht nur zu einer höheren Conversion Rate, sondern auch zu einer Gewinnsteigerung bei.

(Autorin: Johanna Langer, Ausgabe #24 Website Boosting)